Die Debatte über die Beschneidung will kein Ende haben, grausig. Die TV-Talkshow bei Maischberger und das mediale Echo darauf will ich hier kurz zusammenfassen.
Die Sendung wurde von einer erfahrenen und im positiven Sinne neutral wirkenden Moderatorin gut geführt, alle Teilnehmer zeigten sich wie sie sind, es war leicht, eine eigene Meinung über Personen und Inhalte zu bilden. Eine bessere Arbeit als Anne Will hat Sandra Maischberger auf jeden Fall geleistet. Das ist der Pluspunkt. Ansonsten, wie mediale Reaktionen es zeigen, bleibt es weiterhin eine Schande, dass die deutsche Debatte so intolerant gegenüber der immer noch fremden und immer noch unbekannten Kultur geführt wird. Darin hat Dieter Graumann Recht: Die Debatte ist „viel schädlicher als alle Beschneidungen“. Mein Wort!
Unzählige meist antisemitische Kommentare sind die Folge. So bei der WAZ, wo nur eine dapd-Meldung publiziert wird, so auch bei der „Frankfurter Rundschau“, wo das Thema gleich zweimal am selben Tage angeschnitten wird. Bei der korrekten Besprechung der Sendung durch Torsten Wahl:
Einen großen Toleranztest nannte Zentralratschef Graumann abschließend die Diskussion – viel Toleranz haben die Befürworter der Beschneidung in dieser Sendung nicht erfahren.
So auch bei dem starken, fast schon kampflustigen Text von Christian Bommarius, der die klare Parallele zwischen dem „Stürmer“-Antisemitismus und der aktuellen Debatte aufdeckte:
Es ist natürlich schön, dass die Deutschen ihre Haltung zu den Menschenrechten derart modifiziert haben, dass sie heute glauben, den Juden darin Unterricht erteilen zu können.
Noch schöner wäre es, ihnen würde bewusst, wie lächerlich und beschämend ausgerechnet in Deutschland – als einziger Demokratie der Welt – ein Beschneidungsverbot wäre. Es wäre ein Triumph hochnäsiger Geschichtsvergessenheit.
Christian Geyer hat in der FAZ die Sendung zum Anlass genommen, die Religion per se zu verteidigen. Deswegen für ihn ist das
Eine lohnende Beschneidungsdebatte.
Weil es zeigen lässt, in Deutschland sei
ein präpotenter Ton gegenüber Gläubigen eingeschlichen, der sich selbst bloßstellt und dringend zurückgenommen werden sollte.
Negativ beurteilt die Sendung Tim Slagmann in der „Welt“, er macht kein Geheimnis aus seiner eigenen Position gegen die Beschneidung überhaupt:
Verbissen diskutierten die Gäste bei Maischberger – ohne sich Argumenten zu öffnen. […] Andererseits war es erstaunlich, wie sehr sich die Diskutanten in ihren je eigenen Aspekten verloren, um Kontrahenten dann umgekehrt vorzuwerfen, diese sähen das Wesentliche, Gesamte, Andere der Debatte nicht. Graumann etwa wiederholte, die Beschneidung sei das Fundament des jüdischen Glaubens. Seit Jahrtausenden, fertig, Punkt.
Die Mühe, diese Bedeutung zu erläutern, herzuleiten oder sie gar für eine historisch-kritische Lesart zu öffnen, machte Graumann sich nicht. Warum man die Heranwachsenden nicht selbst entscheiden lassen könnte, mit 16 oder 18 Jahren?
Necla Keleks Meinung fand Tim Slagmann dagegen „durchaus schlüssig“. Und er fand sich selbst mutig bei der Fragestellung, „ob da nicht wieder einmal gegen das Volk regiert werde.“
Noch mehr von der vox populi kann man bei einer Blogreaktion lernen, in der ein Jürgen Bakos es auf den Punkt willig bringt, worum es der gesunden Volksgemeinschaft geht, nämlich:
Warum sind Frau Maischberger und Frau Will nicht in der Lage, die entscheidende Frage zu stellen? Nämlich ob es die Beschneidungsfreunde einen Dreck interessiert, was das Volk des Landes, in dem sie leben, darüber denkt?
So schreibt er auch geradeheraus, was er bei Christian Bommarius vermisst, nämlich:
einen Willen der Gemeinschaft wenigstens in Betracht zu ziehen.
Eine bemerkenswerte Reaktion ist auch von einem türkischstämmigen Blogger Akın Ruhi Göztaş bei Turkishpress (Link) zu lesen. In einem dialektal gefärbten Deutsch wird hauptsächlich Necla Kelek fertig gemacht und Dieter Graumann gleichzeitig wohlwollend gelobt:
Der sogenannte Jude hat allen gezeigt, wie es geht. […] diese können sich seit jeher sehr gut präsentieren.
Offensichtlich ohne Ironie gemeint. Das sind Blüten der Beschneidungsdebatte. Deutschland kann man dazu gratulieren. Auch zu den unsäglichen Beiträgen von Necla Kelek und Christa Müller in dieser Sendung. Man wird mehr und mehr zur „Komikernation“. Wie wahr!
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