Sendungsbewusstsein

Kritische Auseinandersetzung mit den Medien

Peter Schäfer: kein gutes Aushängeschild Samstag, 29. April 2006

Filed under: Allgemein — peet @ 19:41 Uhr
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Vor einigen Tagen habe ich eine freiwillige Sprecherin der Hamas in Andrea Nüsse zu erkennen gemeint. Heute bei Heise erschien mir noch ein Hamas-Korrespondent, diesmal Peter Schäfer. Das droht eine Tendenz zu werden. Arabisten, die in der islamistischen Umgebung arbeiten, wollen sich nicht kritisch, sondern solidarisch stellen, erlauben sich keinen Kommentar und geben als eigene Meinung die Propaganda der Hamas weiter an den unschuldigen deutschen Leser. Wie kann das sein? Zuerst ein paar Beispiele.

Die Hamas wird von der westlichen Staatengemeinschaft boykottiert. Der Eindruck entsteht, dass die Hamas für die innenpolitische Unsicherheit verantwortlich ist.

Der bekannte Umkehrschluss: Weil die Hamas boykottiert wird, entstehe der Eindruck, die Hamas sei veranwortlich für den Chaos in der Palästinensischen Autonomie. Also nicht von der Realität zu der Schlussfolgerung, sondern andersrum. Die ganze Welt sagt: Die Hamas tut nicht das, was eine Regierung tun muss, deswegen soll sie boykottiert werden. Die Hamas und Peter Schäfer sehen das anders, genau umgekehrt.

Hamas-Kader schlugen moderatere Töne an. Etwa seit 2002 lässt man immer wieder durchblicken, dass eine palästinensische Staatsgründung in den von Israel 1967 besetzten Gebieten – also in 22 Prozent des historischen Mandatsgebiets – durchaus in Betracht komme. „Wir sind dazu bereit“, so Samir Abu Aische, der neue Planungsminister, „unser System innerhalb der Grenzen von 1967 aufzubauen. Wenn die Israelis unser Recht zu einem solchen Staat anerkennen, dann können wir über die nächsten Schritte diskutieren.“

Hier, wie an vielen anderen Stellen, baut Schäfer an dem friedliebenden Bild der Hamas. Die Auflistung der Originaläußerungen zeigt die Wahrheit, nämlich, nach dem altbekannten Vorbild Arafats erzählen Hamas-Politiker jedem auswärtigen Zuhörer, was er hören will. Und bei sich zu Hause wird Klartext gesprochen:

Khaled Mashal, Al-Rai Al-Aaam, 26. März 2006:
„Nein zu Verhandlungen mit Israel, Nein zur Anerkennung Israels und Nein zur Aufgabe palästinensischer Rechte”.

Ismail Haniyeh, palästinensischer Ministerpräsident, in der arabischen Zeitung Alsharoq, am 1. März 2006:
„Zu den Grundlinien unserer neuen Regierung gehört es, dass wir uns nicht den Bedrohungen der internationalen Gemeinschaft ergeben und wir die Anerkennung Israels ablehnen“.

Mahmoud Al-Zahar, palästinensischer Außenminister, am 3. März 2006:
„Ich träume davon, eine große Weltkarte in meinem Haus in Gaza aufzuhängen, auf der Israel nicht erscheint.“

Genauso wird die aktuelle Geschichte über den vorerst gescheiterten Versuch der Hamas ausgemalt, einen Terroristen zum Befehlsinhaber der neuen Truppe zu ernennen. Schäfer geht aber noch weiter:

Extremisten von Fatah und Islamischer Dschihad werfen der Hamas aber jetzt vor, nicht mehr für die Sache Palästina zu kämpfen. Der Selbstmordanschlag des Dschihad von vor zwei Wochen in Tel Aviv wurde von der Hamas deshalb als „Selbstverteidigung“ bezeichnet, obwohl man die Tat nicht begrüßte.

Die Hamas wird also im Laufe des Artikels so moderat, dass die Fatah im Vergleich zu ihr zu Extremisten bestempelt werden darf. In der Wahrheit bleibt die Hamas so wie sie war:

Ahmad Al-Jaabari, auf der Hamas-Website, am 5. April 2006:
„Unser (gewaltsamer) Widerstand in Palästina wird fortgesetzt und wird unter keinen Umständen beendet werden. Die Al-Qassam-Brigaden werden den Marsch für die totale Befreiung des Bodens ihrer geliebten Heimat Palästina vom Mittelmeer bis zum Jordanfluss fortsetzen.“

Nur will Peter Schäfer davon nichts erzählen. Das Schönste erzählt er aber fast am Schluss:

Die Fatah übernimmt so die Haltung der internationalen Gemeinschaft.

Das ist aus der Sicht von Peter Schäfer ganz schlimm, genauso wie aus der Sicht der Hamas:

Der jetzige breite Boykott des Wahlsiegers allerdings ist kein gutes Aushängeschild für die westliche Auslegung von Demokratie.

Peter Schäfer schreibt in diesem Stil für viele deutsche Zeitungen, u.a. für die „Junge Welt“, „Neues Deutschland“. Für seinen anderen Arbeitgeber, die Friedrich-Ebert-Stiftung findet er einen anderen, ausgeglicheneren Ton. Von Arafat lernen – unterschiedliche „Wahrheit“ sagen lernen?.. Kein gutes Aushängeschild, in der Tat.

 

Heitmeyer: Kampf gegen Rechts

Filed under: Allgemein — peet @ 19:05 Uhr
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Wilhelm Heitmeyer wurde vom ZDF interviewt. Nach vielen Plaudereien der letzten Tage endlich eine fundierte Meinung eines Spezialisten, für mich – eine willkommene Gelegenheit, mich hinter einem Zitat, zu dem ich mich bekenne, zu verstecken:

Das Gewaltniveau hat sich eher auf einem gewissen Level eingependelt, und nimmt laut ersten Angaben des Verfassungsschutzes offenbar wieder leicht zu. […] Unsere Untersuchungen [haben] gezeigt, dass feindselige Einstellungen gegenüber schwachen Gruppen in den letzten Jahren zugenommen haben. Dies bezieht sich nicht nur auf Fremde, sondern auch auf Homosexuelle, Juden und andere Minderheiten. Und diese feindseligen Einstellungen in der Bevölkerung bilden einen Hintergrund für die Legitimation von Gewalt. […]

Wenn Menschen ihre Teilhabe an der Gesellschaft bedroht sehen, etwa durch Arbeitslosigkeit, Armut, bröckelnde Familien oder fehlende politische Partizipation, dann entstehen Ängste. Dies führt in der Regel zur Abwertung schwacher Gruppen, um sich selber dadurch aufzuwerten. […] Aufklärungs- und Informationskampagnen können wenig gegen die Ursachen von Rechtsextremismus ausrichten, Demos auch nicht. Diese setzen zwar richtige Zeichen, sind aber in dieser Hinsicht nicht effektiv. Wir müssen uns vielmehr die Integrationsfähigkeit unserer Gesellschaft ansehen – dabei geht es nicht nur um Zuwanderer, sondern auch um Teile der Mehrheitsgesellschaft. […]

Ein Teil unserer Gesellschaft ist bereits desintegriert oder davon bedroht, abgekoppelt zu werden. Die Möglichkeiten, sich Anerkennung zu verschaffen, werden knapper. Dieser Prozess ist zum Teil gar nicht mehr umzukehren – denken Sie an den Arbeitsmarkt für Niedrigqualifizierte! […] Die Gesellschaft braucht neue Antworten, die über Repression hinausgehen. Natürlich müssen die Täter bestraft und die organisierten Rechtsextremen unter Beobachtung gestellt werden. Nur hier fängt man am Ende, nicht am Anfang der Ursachenkette an. Entscheidend ist, die Menschen wieder zu integrieren, damit sie sich anerkannt fühlen und etwas zu verlieren haben – viele haben ja gar nichts mehr zu verlieren. […]

Einstellungen in der Bevölkerung, wirtschaftliche Entscheidungen, organisierte rechte Gruppen, das Verhalten von Eliten – das alles ist nicht voneinander zu trennen. So tragen etwa die Eliten dazu bei, rechte Gewalt zu legitimieren – wie etwa vor einigen Tagen, als Innenminister Schäuble aufrechnete, dass auch Blauäugige und Blonde von Menschen fremder Herkunft malträtiert würden. Auch die Schuldzuweisungen in der Integrationsdebatte nach den Vorfällen an der Berliner Rütli-Schule gingen in diese Richtung. […]

Was ist ein Kampf gegen Rechtsextremismus? Auf der einen Seite geht es natürlich um die rechten Organisationen. Der Kampf gegen Rechts wird aber umso schwieriger, je mehr sich etwa eine NPD für die Mitte trimmt. Und auf der anderen Seite findet die Feindseligkeit gegenüber einigen schwachen Gruppen auch immer mehr Zuspruch in der gesellschaftlichen Mitte. Das bedeutet natürlich auch, dass sich dort ein breiter Bodensatz entwickeln kann, der es schwerer macht, gegen Rechtsextreme zu mobilisieren. Denn die politische Mitte entscheidet über das, was in einer Gesellschaft als normal gilt.

 

Extrem Linke Schwierigkeiten mit dem zionistischen imperialistischen rassistischen Feind Donnerstag, 27. April 2006

Filed under: Allgemein — peet @ 16:22 Uhr
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Zeitungen linker Ausrichtung haben seit Jahren eine ausgeprägte antisemitische Tendenz – die alte stalinistische Tradition, die auch heutige Trotzkisten wie Stalinisten nicht weniger munter aufweisen, genauso wie auch die Neue Rechte bekennt sich zum braven alten Antisemitismus. Erst neulich erschien ein Offener Brief von sechs Autoren der Zeitung „Junge Welt“, die sich darüber beschwerten. Darin steht u.a.:

In letzter Zeit ergehen sich Kommentatoren der jW in einer unerträglichen Verniedlichung des offen antisemitischen Staatschefs des Iran, was nicht selten wie eine Legitimation dessen Politik wirkt. […] Wir fragen uns, wie man in Zukunft ähnlichen „Überlegungen“ von Neonazis argumentativ entgegen treten will. Diese Relativierung der deutschen Massenmordgeschichte und Ignoranz gegenüber Antisemitismus verbieten sich für eine linke Zeitung von selbst, ganz abgesehen davon, dass dieses Regime jede fortschrittliche linke Opposition mörderisch unterdrückt.

Wir sind mit dieser inhaltlichen Ausrichtung, die sich in einer derart vereinfachenden Position ausdrückt, wonach der Feind-meines-Feindes-irgendwie-auch-mein-Freund-sei, nicht einverstanden. Ebenso entschieden wie wir den Kriegsplänen gegen den Iran entgegentreten, lehnen wir ein Kleinschreiben eines virulenten und aggressiven Antisemitismus ab.

Skurrilerweise antwortete die Zeitung darauf mit dem Hinweis:

jW mit Antisemitismus in Verbindung zu bringen ist die Geschäftsidee einer Hamburger Zeitschrift und ihr verbundener Autorinnen und Autoren. Diese Sicht der Dinge kann gern dort bleiben.

Vorbildliche Bereitschaft, auf die Kritik „sachlich“ zu reagieren!

Vor zwei Tagen hat die „Junge Welt“ eine in der Tat sachliche Antwort auf die Kritik abgegeben, indem zwei offen antisemitische Texte publiziert wurden, beide ohne Kommentare, somit nicht als Diskusssionsbeiträge, sondern als eine Meinung der Redaktion.

In dem ersten, den Ellen Rohlfs der Redaktion „besorgte“, wie es im Text steht, wird die Position der Hamas-Regierung dargestellt, und zwar durch deren Minister-Präsidenten Ismail Hanija. Es ist eine bekannte Position der Hamas, die dazu führt, dass der Konflikt im Nahen Osten weiter blutige Spuren hinterlässt. Die Zeitung solidarisiert sich mit der Position der Hamas:

Die internationale Gemeinschaft muß Druck auf Israel ausüben.

Im zweiten Beitrag wird ein antizionistisches Buch präsentiert. Dessen Autor sagt u.a.:

Die israelische Regierung behauptet, daß sie nicht mehr mit der palästinensischen Autonomiebehörde verhandeln kann, weil sie von der Hamas gestellt wird. Das zeigt, daß die israelische Regierung Demokratie verachtet. […] Hamas bemüht sich sehr um eine Öffnung. Sie hat die linke PFLP zur Zusammenarbeit eingeladen, und sie versucht, die PLO, den Dachverband der palästinensischen Bewegungen, über religiöse Grenzen hinweg auszubauen. Hamas diskutiert ernsthaft, wie Juden und Muslime Seite an Seite leben können, und viele erinnern daran, daß Araber und Juden in der gesamten Region jahrzehntelang friedlich zusammengelebt haben. […] Ich habe das Buch geschrieben, damit die Linken Israel und Palästina besser verstehen, die Palästinenser unterstützen und mit dem Zionismus brechen.

Die Zeitung lässt das ohne Kommentar an den Leser heran. Genau, wie es die „Junge Freiheit“ tut – siehe z.B. die Analyse des Interview mit Rantisi (Hamas) in der JF (August 2001) bei Alfred Schobert (Link) oder Anton Maegerle/Heribert Schiedel (Link). Linksaußen und Rechtsaußen treffen sich im Antisemitismus.

 

Tun wir, was hier zu tun ist?

Filed under: Allgemein — peet @ 15:43 Uhr
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Bei dem Perlentaucher, dem großen Helfer und Anbieter der Anregungen, breitet sich die Palette aus. Da werden u.a. auch journalistische Aufzeichnungen gepostet wie z.B. jetzt Notizen, die Ute Ruge auf ihrer Reise nach Ramallah macht. Die Reise ist noch nicht zu Ende, aber es sind immerhin schon acht Briefe. In einem der Briefe berichtet die Autorin von dem Gespräch mit Roni Hammermann, einer israelischen Friedensaktivistin von Machsom-Watch.

Ute Ruge erzählt sehr ausführlich über die Strassen und Beduininnen, das ist nicht schlimm, trägt viel zu der Atmosphäre bei. Irgendwann kommen auch Gedanken von Roni Hammermann zum Ausdruck, nicht sehr viele, im Netz kann man mehr finden. Allerdings erzählt Ute Ruge etwas ganz Besonderes nach, was ich hier mit einem gewissen Nachdruck übernehmen möchte:

Was man tun könne, um zu helfen, ist sie im Ausland, in Deutschland und Österreich, oft gefragt worden. Jeder soll im eigenen Land, im eigenen Stadtviertel, die Augen aufmachen, gegen Unrecht protestieren, sich einmischen. Wir tun, was hier zu tun ist.

 

Die schwere Artillerie rückt nach: die FAZ gegen die „Süddeutsche“ Mittwoch, 26. April 2006

Filed under: Allgemein — peet @ 12:29 Uhr
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Damit habe ich nicht gerechnet. Heribert Prantl hat sich doch zur Sache geäußert und nüchtern, fast trocken erklärt, warum der Generalbundesanwalt Kay Nehm richtig gehandelt hat. Einen Tag danach meldet sich der Feuilletonchef der FAZ Patrick Bahners und bildet sich ein, er könne Prantl belehren. Mal schauen, wie das nach hinten losgeht.

Prantl prantlt in dem Fall nicht, wie gesagt, er nimmt einen ruhigen Ton und stellt („Die Süddeutsche“ vom 25.4.2006) fest,

Hinter der Kritik Schönbohms steht auch die Frage, ob ein Einzelverbrechen die innere Sicherheit des Landes überhaupt in einem Maß gefährden kann, dass dies die „Kernsubstanz“ des Gemeinswesens berüht. […]

Nehms Behörde, die Bundesanwaltschaft, hat in solchen Fällen sehr häufig ein Beurteilungsproblem: Bei Übernahme der Ermittlungen muss sie von einer Einschätzung ausgehen, die eigentlich erst am Ende einer Ermittlungskette stehen kann – ob nämlich eine Gewalttat wirklich die Sicherheit des Landes gefährden kann. […]

Der an Nehm mäkelnde Schönbohm sollte das Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2000 nachlesen, das – den Fall Eggesin betreffend – die Kriterien für die Zuständigkeit des Generalbundesanwalts bei Ermittlungen gegen Rechtsextremisten ziemlich genau festgelegt hat. In der vorpommerschen Ortschaft Eggesin hatten 1999 fünf rechtsextreme Jugendliche auf einem Volksfest zwei Vietnamesen fast zu Tode geprügelt. Nehm übernahm die Ermittlungen. Die damals zwischen 16 und 20 Jahre alten Täter wurden zu Jugendstrafen von vier bis sechs Jahren verurteilt. Die Täter legten Revision ein und begründeten diese unter anderem mit der fehlenden Zuständigkeit des Generalbundesanwalts.

Das Gericht wies diese Ansicht zurück und präzisierte hierbei die, wie es sagte, bis dahin „konturenlose“ Zuständigkeitsvorschriften im Gerichtsverfassungsgesetz. […] Der Generalbundesanwalt kann die Ermittlungen an sich ziehen, wenn eine schwere Gewalttat das verfassungsrechtliche Toleranzgebot gegen Minderheiten verletzt, das Erscheinungsbild der Bundesrepublik beeinträchtigt oder Signalwirkung für potenzielle Gewalttäter haben könnte.

Am nächsten Tag schreibt Bahners. Süffisant und selbstgefällig, teilt er nach links und nach rechts aus. Er macht sich über die Empörung in der Gesellschaft lustig, so kriegt zuerst die ehemalige Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger etwas ab:

Leutheusser-Schnarrenberger hat einen Schreck bekommen. Und wir hatten immer gedacht, sie stamme vielleicht nur aus der bayerischen Nebenlinie des süddeutschen Liberalismus, aber Furcht kenne sie nicht.

Wer hat der früheren Bundesjustizministerin den Schreck eingejagt? Jörg Schönbohm, Innenminister des Landes Brandenburg. Frau Leutheusser-Schnarrenberger hat Schönbohms Kritik an Generalbundesanwalt Nehm kritisiert. Sie findet es „erschreckend, daß über die Zuständigkeit gestritten wird und nicht darüber, was die Ursachen und der Hintergrund dieses Falles sind“. Ja, man bekommt es mit der Angst zu tun, wenn bei der Strafverfolgung Rücksicht auf Formfragen und Kompetenzen genommen wird. Wie soll man ein Land nennen, in dem die Rechtmäßigkeit staatlicher Maßnahmen davon abhängt, daß die zuständige Stelle sie ergriffen hat? Das wäre eine knifflige Frage für einen Einbürgerungstest. Auch dem bärtigsten Iman und dem blondesten Unhold käme die Antwort „Rechtsstaat“, da zu einfach, wohl falsch vor.

Wie immer in solchen Debatten, der Gegenseite wird die „Vorverurteilung“ vorgeworfen, ein Popanz aufgebaut, mit dem man kämpft, um am Ende als die aufgeklärte höhere Instanz von sich selbst inthronisiert zu werden. Das geht in dem Fall so:

Frau Leutheusser-Schnarrenberger sagte nicht, was sie, bevor auch nur Anklage erhoben worden ist, für den Hintergrund der Bushaltestellenattacke hält, aber man kann es sich denken.

Bahners denkt sich weiter und weiter und kommt irgendwann zur Sache:

Ernsthaft läßt sich nicht behaupten, daß alkoholisierte Totschläger das Staatsgefüge ins Wanken bringen können – selbst wenn man dieses Gefüge nicht im institutionellen Sinne auffassen und etwa befürchten wollte, eine Kampagne ostentativer Gewaltakte könnte geeignet sein, die rechtstreuen Bürger einzuschüchtern und von der Verteidigung der Grundrechte abzubringen.

Der Konjunktiv ist eine feine Sache. Man behauptet, es könnte was sein oder eben nicht. Und wenn man gerade dabei ist, belässt man das beim Konjunktiv und verkündet:

Wir dürfen ruhig schlafen

Ja, liebe FAZ, ihr könnt ruhig schlafen, sicher. Was meint Schönbohm dazu?

Es gibt in Brandenburg wie auch in anderen deutschen Städten Gegenden, wo man sich klugerweise nachts lieber nicht allein aufhalten sollte. Ich ging vor einiger Zeit abends im Dunkeln allein durch eine fast menschenleere märkische Stadt, da kamen mir vier Kahlgeschorene in Bomberjacken und Springer- Stiefeln entgegen. Ich bin auf die andere Straßenseite gewechselt. Aber so etwas habe ich zum Beispiel auch in Bonn und Frankfurt am Main erlebt.

Sogar Schönbohm kann inzwischen nicht überall friedlich spazieren gehen, ihr aber. Na gut.

Um seine Rechtfertigung für den ruhigen Schlaf zu begründen, übernimmt Bahners die Infos vom Feind und färbt sie um, wie es ihm besser passt:

In einem Fall von 1999, als zwei Vietnamesen fast totgetrampelt worden waren, befand der Bundesgerichtshof, die Justiz des Bundes sei nicht für jedes rechtsextremistische Tötungsdelikt, sondern „ausnahmsweise nur dann zuständig, wenn die Tat darauf gerichtet ist, das innere Gefüge des Gesamtstaates oder dessen Verfassungsgrundsätze zu beeinträchtigen“. Es ist eine anspruchsvolle Abstraktion, bei einer mutmaßlich nicht geplanten oder verabredeten schwersten Körperverletzung unter Alkoholeinfluß nach einer Richtung der Tat zu fragen.

Auch hier wird mit erprobten Methoden gearbeitet: Nicht alles zitieren – nur was passt. Auf keinen Fall sich auf eine Diskussion einlassen – verschweigen und ignorieren. So wird aus einem Popanz eine Ignoranz. Klingt gut oder? Ich finde, das klingt besser als „eine anspruchsvolle Abstraktion“…

 

Kritik unter Freunden Dienstag, 25. April 2006

Filed under: Allgemein — peet @ 20:31 Uhr
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Auch wenn sich nur wenige Stimmen erheben, sind sie – vielleicht gerade deswegen – besonders gut hörbar. Welche Kritik und welche Unterstützung Schäuble und Schönbohm in diesen Tagen bekommen, ist höchst interessant, ein Lehrstück. Zwei Beispiele.

Wolfgang Schäuble sowie Jorg Schönbohm sehen beim Überfall in Potsdam keinen rassistischen Hintergrund. Dem ersten eilt Wolfgang Bosbach zur Hilfe und sagt:

Es ist auch zum jetzigen Zeitpunkt keineswegs unzweideutig klar, dass diese Tat einen rassistischen Hintergrund hatte. Möglicherweise handelte es sich auch um einen Streit zwischen Betrunkenen, der dann eskaliert ist.

Merkel schweigt dazu. Die Medien schweigen dazu. Schäuble hat sich nicht entschuldigt, das hat die Medien ermutigt, über den Fall zu schweigen. Bosbach hat dasselbe wie Schäuble gesagt und keine Kritik geerntet. Wunderbar!

Zu dem Auftritt Schönbohms wurde Matthias Platzek gefragt. Seine Reaktion: Schönbohm stehe wegen des öffentlichen Streits mit Generalbundesanwalt Nehm wohl derzeit unter enormem Druck.

Und ins solchen Situationen hyperventiliert er schnell mal – da kommt dann so was raus wie in Sachsenhausen.

Gute Freunde sind viel wert. Das soll Ermyas M. lernen, falls er wieder zu sich kommen sollte.

 

Bischof-Moralist: Huber über das „kollektive Verbrechen“ Montag, 24. April 2006

Filed under: Allgemein — peet @ 21:44 Uhr
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Ungefähr zur selben Zeit hat Bischof Wolfgang Huber „bei Christiansen“ im ARD seine „moralische Beurteilung“ wieder abgegeben und ein Frankfurter Richter Karsten Koch ihm, dem Oberhaupt der Evangelischen Kirche in Deutschland, einen Offenen Brief online gestellt.

Die Gegenüberstellung ist sehr aufschlussreich.Im ARD-Text findet sich ein Zitat aus der Sendung:

Ich fürchte, dass man davon ausgehen muss, dass das ein kollektives Verbrechen ist. Das ist eine moralische Beurteilung und keine Richterschelte und dieser Frage muss man nachgehen. Es ist an der Zeit, dass wir an solchen Stellen auch Erwartungen einbringen in den Integrationsdialog und uns nicht solche Fragestellungen verbieten lassen.

Der Richter meint dazu:

Woher nehmen Sie die für einen evangelischen Bischof geradezu erschreckende Überheblichkeit, den freigesprochenen Brüdern schon vor rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens öffentlich eine moralische Schuld zuzuweisen? […]

Möglich, dass am Ende des noch anhängigen Verfahrens ein anderes Ergebnis steht. Aber wenn Sie jetzt schon persönliche Überzeugungen von der Schuld Freigesprochener öffentlich äußern, müssen Sie auch sagen, worauf Sie sich stützen. Ein aufgeklärter Mensch sollte schon unterscheiden können zwischen auf Vorurteilen basierenden pauschalen Verdächtigungen und individueller Schuld – wobei ich hier bewusst nicht unterscheide zwischen strafrechtlich relevanter Schuld und dem, was Sie als moralische Schuld bezeichnen. Freilich ist es gut, dass nicht alles bestraft wird, was wir für unmoralisch halten mögen. Und es mag auch unterschiedliche Anforderungen an Gewissheit geben. Aber für eine öffentliche Zuweisung moralischer Schuld – noch dazu durch den Ratsvorsitzenden der EKD – dürfen keine geringeren Anforderungen gelten als für eine gerichtliche Feststellung strafrechtlich relevanter Schuld. Unser staatliches Strafrecht kennt – Gott sei Dank! – in der Tat nur individuelle Schuld. Oder möchten Sie für eine Tat bestraft werden, für die Sie nicht ganz persönlich und individuell verantwortlich gemacht werden können? Wie stellen Sie sich ein Strafrecht vor, das auf ein „kollektives Verbrechen einer ganzen Familie“ eine nach Ihrer Auffassung zureichende Antwort findet? Ich gestehe jedem Angehörigen welcher Religion auch immer und jedem Atheisten zu, etwas zu glauben, für das er nach rationalen Kriterien keine Beweise hat. Aber ich gebe niemandem – und schon gar nicht einem Bischof der Kirche, der auch ich angehöre – das Recht, einen Mitmenschen öffentlich moralisch zu verurteilen, bevor er dafür Beweise nennen kann. Und wer sich in der „Bild“ äußert, muss ganz besonders vorsichtig sein. Er muss – noch dazu als Mann in Ihrer Position – wissen, dass dort nahezu jede Aussage auf die Ebene einer Stammtischparole verkürzt wird. Die reißerische Überschrift „Bischof verurteilt Ehrenmord-Familie“ spricht für sich. Wenn sie persönlich wirklich überzeugt sind von der moralischen Mitschuld anderer Familienmitglieder, dann nennen Sie Ross und Reiter: Sagen Sie bitte genauso öffentlich, worauf Sie diese persönliche Gewissheit von der „Kollektivität des Verbrechens“ stützen. Oder entschuldigen Sie sich bei der Familie für Ihre unbedachten Äußerungen. Und warten Sie ab, wie das noch nicht rechtskräftig abgeschlossene Verfahren ausgeht. Die Unschuldsvermutung gilt auch für die nicht verurteilten Angehörigen der Familie des Opfers. Wer gerade in diesem Fall den Angehörigen öffentlich ohne Beweise moralische Schuld zuweist, schürt Fremdenfeindlichkeit.

Kein Kommentar.

 

„Mutmaßlicher Rechtsextremer sticht Mann nieder“

Filed under: Allgemein — peet @ 12:59 Uhr
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Einsam berichtet NDR online über den Zwischenfall am Samstagmorgen bei Hannover. Im Text geht es um einen Täter, der „rechtsradikale Lieder“ singt, „verfassungsfeindliche Symbole“ trägt, fremdenfeindliche Parolen ausruft – und wird im Titel nur als „mutmaßlicher“ Rechtsextremer benannt.

Klar, Vorsicht ist geboten, sonst fühlt sich Schönbohm oder gar Schäuble gezwungen, etwas Intellektuelles dazu zu sagen. Das wollen wir doch vermeiden. Deswegen bleibt es lieber bei der einzigen Meldung, keine Zeitung will davon etwas wissen. Klar, es geschah nicht im Osten, angegriffen wurde „nur“ eine deutsche Italienerin, lebensgefährlich niedergestochen – ein Deutscher. Da gibt es nichts zu berichten, nicht wahr?

 

Meggle zu Tränen gerührt: „Ist so etwas an einer Uni verboten?“ Sonntag, 23. April 2006

Eine Veranstaltungsreihe an der Universität Leipzig ging zu Ende. Der Veranstalter Georg Meggle berichtet bei Heise und teilt seinen Bericht in die Abschnitte: Information zuerst, Kommentar danach. Das klingt sehr wissenschaftlich, ja, sehr wissenschaftlich. Nur – mit der Teilung in Paragraphen endet die Wissenschaftlichkeit leider. Das Problem der gesamten Session sowie der Darstellung durch Meggle ist seine unwissenschaftliche, zutiefst persönliche Note sowie die offene Einseitigkeit und Parteinahme.

Die Leipziger Philosophen haben offensichtlich Schwierigkeiten sowohl mit der Ethik als auch mit der Planung: Wird das Fach so vertreten? Werden Gelder so ausgegeben?

Einige Beispiele:

Beide Seiten widersprechen sich. Wir haben also ein echtes Dilemma. Dieses Dilemma manifestiert sich nicht nur bei diesem Thema und nicht nur bei Universitäts- Ringvorlesungen. Das Dilemma zwischen Distanz-Notwendigkeit und Distanzierungs-Unmöglichkeit ist ein ganz allgemeines. Es tritt überall dort auf, wo ein Streben nach Erkenntnis und Verstehen einerseits und ein Verlangen nach (individueller wie kollektiver) Vergegenwärtigung von Vergangenem (in unserem Fall: von vergangenem und gleichwohl nachwirkendem Leid) andererseits miteinander in Konflikt geraten.

Es geht zuerst um die Vorstellung und die Gegenüberstellung von zwei Positionen – etwa so? Welche sind es? Israel und die Palästinensische Autonomie? Nein, es geht um „das Dilemma zwischen Distanz-Notwendigkeit und Distanzierungs-Unmöglichkeit“. Es wird zu Beginn des Artikels postuliert, was sein (durchaus ethisches!) Thema sein sollte. Dieses Thema wird im Verlauf des Berichtes nie wieder, von keinem der Redner aufgenommen und behandelt. Das Thema bleibt also nur im Bewußtsein des Professors existent, der alles geplant und durchgeführt hat. Aha. Und der nicht gemerkt hat, dass die gesamte Reihe zu einem anderen Thema umgedeutet wurde, zum Thema – Ein nettes Gespräch über verschiedene Blicke auf den Konflikt im Nahen Osten.

PS.1 Seine klaren Argumente zur Rechtfertigung der Gegengewalt von Seiten Israels unterstützte der Referent mit zahlreichen Fotos von den Opfern von Selbstmordattentaten. Fotos, die beim Betrachter außer Entsetzen auch reflexartig die Solidarität mit den Opfern und deren Angehörigen auslösen. Bei jedem, der noch einen Rest von menschlichem Mitgefühl hat.

So gibt Georg Meggle den Inhalt des Vortrags eines Vertreters der israelischen Likud-Partei wieder. „Klare“ Argumente und „zahlreiche“ Fotos der israelischen Seite sind dazu da, um eine „reflexartige Solidarität“ auszulösen. Das schreibt er im informativen Abschnitt, das Wort „reflexartig“ verrät die wertende Position des Berichterstatters, die gleich darauf deutlicher wird:

Und die eines vergessen machen: Dass es entsprechende Bilder auch auf der anderen Seite gäbe; mit den gleichen Wirkungen, wenn wir deren Bilder überhaupt zu sehen bekämen. Und zudem verschweigen solche Bilder den gewöhnlichen Alltag: und der ist auf den beiden Seiten ein sehr verschiedener.

Wir werden belehrt, all die unzähligen Fotos der israelischen Opfer, die Meggle und wir jeden Tag sehen (Vorsicht, Ironie!), sollten bei uns keine „reflexartige Solidarität“ auslösen. Zudem leben Israelis besser als Palästinenser, das sollten wir ihnen übelnehmen. Das ist die Meinung des verantwortlichen Profs.

Damit wir noch mehr Verständnis für die missionierende Position des Autors einbringen, springen wir zu seiner Beschreibung des Auftrittes einer friedensengagierten Palästinenserin:

Sumayas Beiträge sind nicht nur wie aus dem Leben gegriffen, sie sind das Leben – und zeigen das Leben unter israelischer Besatzung. Das heißt, mit ihren Worten: Isolation; Trauer; Angst um mich, um die Familie und um die Zukunft; Depression; das Gefühl zu ersticken; Wut, Verzweiflung; Armut; Schuldgefühle; Aggression; Streit in der Familie, in der Klasse, auf der Straße; Unruhe und Schlaflosigkeit; Rachegefühle; Neid; Gefühllosigkeit und Gleichgültigkeit; Früh-Heiraten; Gewalt – auch in den Familien.

PS: Man muss Sumaya Farhat-Naser hier stehen gesehen haben: wie eine Tänzerin, die mit leuchtenden Augen lachend die schwarzen Vögel der Dummheit und des Wahnsinns vertreibt. Eine Liebeserklärung, ich weiß. Ist so etwas an einer Uni verboten?

Alles emotional – sowohl die Information als auch der persönliche Kommentar, ohne jegliche Warnung vor „reflexartigen Solidarität“. Alles klar?

Letzten Endes entsteht der Eindruck der typischen Selbsttherapie auf Staatskosten, den der Autor freiwillig bestätigt:

PS.2 Am lehrreichsten waren für mich nicht die Vorlesungen, sondern die persönlichen Begegnungen drum herum: die Vorbereitungsgespräche und die Gespräche danach. Abraham Sion zum Beispiel hatten wir, meine Tochter und ich, bereits im Februar 2005 in einem Cafe in Tel Aviv zu einem langen Vorgespräch getroffen. Ich hatte dabei erzählt, dass ich beim Beginn des 1967er Krieges, da war ich junger Fallschirmjägerleutnant beim Bund, bereit war, mich, so das nötig werden sollte, als Freiwilliger zur Verteidigung Israels zu melden. Ich war überrascht, daraufhin zu hören, dass im Sechstagekrieg tatsächlich deutsche Freiwillige beteiligt gewesen waren. Noch nie habe ich so viel in Geschichte gelernt wie im Kontext dieser Ringvorlesung.

Ich würde sagen, es gibt auch Bücher, u.a. auch im Fach Geschichte. Einige Professoren wissen das offensichtlich noch nicht.

Im anderen Fall warnt Georg Meggle seine Leser schon wieder – aber diesmal ganz andererseits – davor, der Hamas die von ihm propagierende „reflexartige Solidarität“ zu entziehen:

PS: Vor einem Ignorieren dieses Plädoyers kann ich nur warnen. Was wäre das für ein Verständnis von Demokratie, demokratische Wahlen nur dann zu akzeptieren, wenn sie zum gewünschten Ergebnis geführt haben. Mit dieser Haltung würde sich die Forderung einer Demokratisierung des Nahen Ostens – bzw. der gesamten arabischen Welt – nur selbst als das entlarven, was es vielleicht ja auch ist: als Propaganda-Rhetorik.

Das Niveau eines Anfängers, eines aggressiven Laien in der Politologie und Geschichte. Welches Fach will Meggle eigentlich vertreten?

Chomsky, Krippendorff, Beck, Kapitan, Avnery, Honderich, Primoratz – in der Darlegung Meggles sind sie alle lächerlich und einseitig antizionistisch geprägt. Einige davon bestimmt gewollt, die anderen werden uminterpretiert. Neben Chomsky sieht Georg Meggle nur einen auf der gleichen hohen Stufe der Erkenntnis – das ist „der Physiker, Geigenbauer und Auschwitzüberlebende“ Hayo Meyer! Die Krönung der ethischen Philosophie nach Meggle: Deutschland, Israel, Hayo Meyer als drei ethische Postulate! Das sieht so aus:

* (D) Nie wieder Auschwitz!
* (I) Nie wieder Opfer!
* (HM) Nie (so werden) wie die Täter !

Soll man hier weinen oder lachen?

Am Rande sei noch erwähnt, dass Georg Meggle auch den Film „München“ für sich umzuinterpretieren weiß:

Wer selbst zum Täter wird, verliert letztlich seine eigene Seele. (Das ist die Lehre, die uns und den Israelis Spielbergs „Gebet für den Frieden“ – sein neuer Film „München“ – zu recht nahe legt.)

Dieser Prof. ist ein Wunder der Wissenschaft, wahrlich sage ich euch, wahrlich…

Meggle, bleib bei deiner Butter!

 

Wer hat „Schwein“ gesagt?

Filed under: Allgemein — peet @ 11:31 Uhr
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Gestern haben zwei Zeitungen den Versuch unternommen, den Tathergang in Potsdam zu rekonstruieren. Das Resultat ist ein ziemlicher Widerspruch. Die „Märkische Allgemeine“ will den entscheidenden Moment so gesehen haben:

Kurz danach sollen die späteren Täter, einer links, einer rechts, Ermyas M. an der Haltestelle passiert haben. Der 1,97 Meter große Mann aus Addis Abeba soll danach die beiden Männer, die schon einige Meter entfernt waren, mit dem Wort „Schwein“ beleidigt und zumindest einen zu treten versucht haben. Der Tritt wird durch die Zeugenaussage eines vorbeifahrenden Taxifahrers bestätigt. „Schwein“ ist auf dem originalen Mailbox-Mitschnitt zu hören. Danach beschimpften die beiden Männer Ermyas M. als „dreckigen Nigger“.

Das Opfer ist somit zum Täter umgewandelt worden, weil er als Erster seine Schläger beschimpft haben soll. Der Beweis wird in der Handymailbox-Aufnahme geortet. Über den Unterton des Berichtes („der Mann aus Addis Abeba“) sage ich kein Wort.

Die Berliner „B.Z.“ macht das gemeinte Fragment publik, ohne zu wissen, was Kollegen am selben Tag behaupten:

Täter1: „So, Nigger…“
Täter2: „Wie heißt deine Mutter, Mann?“
Täter1: „Was soll ’n passieren, sag’?“
Täter2: „Was meinst du, Schwein?“
Opfer: „Warum sagst du Schwein? Was denn? Geht doch mal bitte, ja?“
Täter2: „Scheiß Nigger!“
Täter1: „Was soll uns passieren? Wir machen dich platt, du Nigger! Was soll passieren?“

Hier steht schwarz auf weiß – das Opfer wird beschimpft und versucht die Situation zu deeskalieren. Das Opfer bleibt also das Opfer.

Einige schnelle Interpreten wollen nur die erste Meldung gelesen haben und ziehen voreilige Schlüsse. Diese Interpretation wird von vielen weiteren Quellen übernommen und zitiert. Die zweite Meldung musste ich mühsam suchen, keine einzige Zitation habe ich gefunden.

Schäuble kann ruhig schlafen, sein rassistischer Spruch wird sehr bald vergessen werden: die Medien sorgen dafür.

 

Unterstellte Menschlichkeit eines Schäuble Samstag, 22. April 2006

Filed under: Allgemein — peet @ 13:57 Uhr
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Die ersten Zeitungskommentare sind erschienen. Ich bin nicht an den in der FAZ rangekommen. Dafür kann ich drei Beiträge – zwei contra und einen pro – zitieren, die in den kleineren Zeitungen geschrieben wurden.

Die „Berliner Zeitung“ bringt einen anonymen, somit redaktionellen Kommentar:

Wenn in Brandenburg was schief läuft, ob es sich jetzt um Neugeborene in Blumentöpfen handelt oder halb tot geprügelte Schwarze, sind regelmäßig einige CDU-Politiker mit Überschallgeschwindigkeit an den Mikrofonen und wissen warum: Die Mauer ist schuld! Der Sozialismus! Die jahrelange Abschottung! Man nennt das auch das Schönbohm-Syndrom. Diesmal ist sogar Wolfgang Schäuble infiziert, der gleich anmerkt, dass auch blonde, blauäugige Menschen Opfer von Gewalt sind. Sicher gibt es ein Gebiet, auf dem blonde, blauäugige Menschen gezielt Opfer von Gewalt werden: in schwedischen Domina-Pornos! In Brandenburg hingegen ist nur das Innenministerium ziemlich blond im Kopf und besonders blauäugig, wenn es um rechte Gewalt geht. Da sagt Schönbohm auch gleich, dass nicht notwendigerweise ein fremdenfeindlicher Hintergrund gegeben sei, nur weil einer der Täter „Scheißnigger“ sagt. Klar, vielleicht handelt es sich bei „Scheiß – Nigger“ bloß um eine freundliche Aufforderung zur Entleerung des Enddarms?

Da es sich bei solchen Gewalttaten nur um „bedauerliche Einzelfälle“ handelt (übrigens reden Nazis auch gerne von „bedauerlichen Einzelfällen“, wenn sie über Auschwitz referieren!), sieht man kaum Handlungsbedarf. So sollen etwa staatliche Vorsorgeprogramme gegen rechte Gewalt weniger Geld erhalten, um dafür linksextremistische Gewalt besser zu bekämpfen. Wo gibt es denn noch Linksextremisten? Die werden doch mittlerweile von der UNO unter „bedrohte Tierarten“ geführt!

Vielleicht sollten wir Schäuble informieren, dass nicht nur blonde, blauäugige, sondern sogar rothaarige, grünäugige Menschen Opfer von Gewalt werden. Und brünette, grauäugige. Bloß an braunäugige Glatzen traut sich keiner so recht ran!

Die „Märkische Allgemeine“ berichtet über eine Seminararbeit (!) an der Universität Potsdam. Im Artikel lesen wir u.a.:

In Anspielung auf Äußerungen von Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) sagte Studienteilnehmer Marvin Schulte: „Es werden auch blonde, blauäugige Punks Opfer rechter Gewalt.“

Die Verfasser der Studie gehen davon aus, dass es in Potsdam etwa 200 Neonazis gibt, darunter 90 gewaltbereite. Sie berufen sich auf Angaben des brandenburgischen Innenministeriums. Entgegen Angaben der Polizei sei die Szene sehr wohl organisiert. Das habe das geballte Auftreten von Rechten bei Gerichtsprozessen bewiesen. Auch regelmäßig erscheinende Flugblätter des „Schutzbund Deutschland“, Aufkleber und rassistische Schmierereien mit dem Zusatz „Anti-Antifa Sektion Potsdam“ seien als Beleg für organisierte Strukturen zu werten, sagte Schulte. Das Verbot der rechtsterroristischen „Nationalen Bewegung“ Anfang 2001 habe die Zahl der Straftaten zunächst eingedämmt. Inzwischen sei die Szene wieder strukturiert und erhalte Unterstützung aus Berlin.

„Potsdam hat ein Problem mit Rechts“, sagte Schulte. Er forderte eine Auseinandersetzung. Insbesondere die Stadt sei in der Verantwortung. „Ich vermisse eine effektive Arbeit auf der Straße“, sagte Schulte. Die Mobile Einsatzeinheit gegen Gewalt und Ausländerfeindlichkeit (Mega) und die täterorientierten Maßnahmen gegen extremistische Gewalt (Tomeg) der Polizei seien ohne Auswirkungen geblieben, fügte Blénessy hinzu.

So weit so gut. Und die versprochene Reaktion aus dem Ausland? Tja, sie ist ein besonderer Leckerbissen und kommt aus der Schweiz:

Der deutsche Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) ist ein Intellektueller und also keiner, der gedankenlos Plattheiten verbreitet. Umso heftiger waren die Reaktionen auf Schäubles Mahnung, das Verbrechen von Potsdam nicht voreilig zu schubladisieren. Noch kenne man die Täter und deren Motive nicht, sagte Schäuble kurz vor der Präsentation der angeblich Schuldigen und meinte wörtlich: «Es werden auch blonde blauäugige Menschen Opfer von Gewalttaten.» Als unerträglich und zynisch bezeichnete etwa Grünen-Chefin Claudia Roth diese Aussage und beschimpfte ihn wie viele andere als Verharmloser rechtsextremer Gewalt. Dass sich hier ein Politiker äusserte, der blaue Augen hat, helle Haare und selbst Opfer eines Gewaltverbrechens geworden war, gehört aber offenbar auch zu einer Realität, die – bequemerweise – ausgeblendet werden darf. Menschlichkeit ist aber auch ein Motiv, und Schäuble hätte es verdient, dass ihm das jemand unterstellt. Weil er aufmerksam machen wollte auf eine Welt, die sehr komplex gewalttätig ist. Und darum gibt es für die Politik nichts zu beschönigen – und nichts zu verharmlosen.

Noch einmal: Schäuble meine sich selbst, wenn er von den „blonden blauäugigen“ Opfern „von Gewalttaten, zum Teil sogar von Tätern, die möglicherweise nicht die deutsche Staatsangehörigkeit haben“, gesprochen hatte. Und sein Motiv, darüber zu reden, sei seine Menschlichkeit, die jemand ihm endlich unterstellen solle.

Also wirklich, eine ungeheuere Unterstellung, die aber jemand wagt, und zwar der mutige Fritz Dinkelmann in der Zeitung mit dem wunderschönen Titel „Schaffhauser Nachrichten“. Weiter so!

 

Speziell für Schäuble

Im Zusammenhang mit der Untersuchung des fremdenfeindlichen Überfalls in Potsdam hat die „Süddeutsche“ einige Leserbriefe veröffentlicht. Sie stehen nicht online zur Verfügung. Ich habe mir erlaubt, einen davon abzutippen. Der folgende Text erwähnt keine blauäugige Sprüche – er ist aber die treffende Antwort auf diese Sprüche. Die Realität ist anders als Wolgang Schäuble & C° sie sehen will:

Über das Silvesterwochenende war ich in Potsdam zu Besuch. Am 30. Dezember ging ich spät abends in eine Gaststätte in einem Neubaugebiet. Die Gaststätte war gut gefüllt. Die Leute tanzten zur Musik oder unterhielten sich ausgelassen. Plötzlich kippte die Stimmung. Es waren Nazis gekommen. Die brüllten ihre Parolen und beschimpften die Gäste. Viele Gäste verließen fluchtartig die Gaststätte. Ich stand auf und sagte den Typen, sie sollten damit aufhören. Daraufhin stand einer auf und schlug mir ins Gesicht. Ich zahlte, ging und rief die Polizei. Die kam in Zivil und in Uniform. Auf meine Beschreibung hin holten sie die Typen heraus. Die Neonazis wurden freundschaftlich befragt, und der Chef der Polizeigruppe gab mir den Rat: „Sie sollten abends nicht in eine Gaststätte gehen!“ Ich war bedient und ging. Die Staatsanwaltschaft Potsdam teilte mir vorige Woche mit, dass es nicht im öffentlichen Interesse liege, die Sache weiter zu verfolgen.

JAN JOREK, Markkleeberg

 

Brie sagt, was Avnery denkt, Avnery denkt, was Brie sagt Freitag, 21. April 2006

Filed under: Antisemitismus,Deutschland,Israel,Medien,Politik — peet @ 14:23 Uhr
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In der Zeitung „Freitag“ von heute gibt es zwei Beiträge zum israelisch-palästinensischen Konflikt. Die Zahl ist schon nicht schlecht, ich meine, nur zwei ist schon in Ordnung. Andere deutschsprachige Zeitungen schaffen an einem Tage auch nicht, sich ihrem Lieblingsthema weniger zu widmen.

André Brie erzählt über eine Begegnung mit einem Hamas-Politiker und zitiert ihn:

Der Holocaust gegen die Juden hat sechs Jahre gedauert, der Holocaust gegen die Palästinenser währt bereits sechs Jahrzehnte.

Brie vermerkt dazu:

Wer so denkt, kann keine Lösung herbeiführen.

Scharf bemerkt, nicht wahr? Was folgt für André Brie aus diesem Schluss? Noch einmal also – er spricht mit einem verantwortlichen Politiker einer Terror gutheißenden Regierung und stellt fest, sie kann keine Lösung herbeiführen. Was folgt daraus für einen schreibenden Politiker? Wie geht man mit einer Regierung um, die keine Lösung herbeiführen kann? Das geht bei ihm ganz einfach – man identifiziert diese Regierung mit dem Volk und verzichtet auf Forderungen, weil man ja dem Volk helfen möchte. Mit anderen Worten, die Hamas nimmt das palästinensische Volk als Geisel und beansprucht für sich die Bevormundung des Volkes – durch die Geschichtslügen, durch die Verbreitung falscher Meldungen und somit die verbrecherische Propaganda des Terrors. Und wenn die Hamas das will, wie kann man ihr das verbieten? Man sagt, sie würden doch von der Mehrheit des Volkes gewählt, das Volk wolle das so. Das muss man respektieren. Ab nun heißt sie nicht mehr Hamas-Regierung, sondern „die Palästinenser-Regierung“:

Wer die Palästinenser-Regierung boykottiert, begünstigt neue Gewalt

Das ist zwar ein Umkehrschluss, aber wer will da schon was dagegen sagen…

Dass ein großer Teil eines derart gedemütigten Volkes Fundamentalisten wählt, ist nur zu erklärlich. Aber statt die Ursachen zu beseitigen oder abzuschwächen, wird das ganze Volk jetzt für das Ergebnis einer demokratischen Wahl bestraft, die in der arabischen Welt ihresgleichen sucht. Der Finanzboykott der Autonomiebehörde trifft nicht die Hamas-Regierung, sondern die Bevölkerung. […] Insofern ist die Blockade der Finanzhilfen für das palästinensische Volk verbrecherisch, inhuman und kontraproduktiv.

Das klingt gut, zwar mehr als nur einseitig, aber wer will da schon über Feinheiten reden…

Der Westen applaudiert Israel und nimmt die verheerenden Konsequenzen in Kauf, obwohl sie auch ihn selbst erreichen werden.

Eine Prophezeiung des Horrors kommt auch gut an, egal, dass sie von falschen Prämissen ausgeht…

Richtig ist, dass die Hamas-Regierung das Existenzrecht Israels und den Gewaltverzicht anerkennen muss – Gleiches muss aber endlich auch mit klarer Stimme von den Israelis gefordert werden.

So wird die Propaganda gemacht. Einige besonders erfolgreiche Beispiele dieser Art kennen wir schon. Das Wörtchen „endlich“ haben wir in diesem Zusammenhang gut in Erinnerung, oder?

Für den blutigen Anschlag am Montag in Tel Aviv gibt es keine Rechtfertigung. Und ebenso keine für die brutalen israelischen Angriffe auf den Gazastreifen.

Es gibt zwar keine „brutale israelischen Angriffe auf den Gazastreifen“, insbesondere nach dem blutigen Anschlag in Tel Aviv. Aber wer will das schon wissen? Will das André Brie wissen?

Er sagt, was er denkt, nicht das, was wahr ist.

In der Zeitung findet sich noch ein Beitrag zum Thema, geschrieben zwar viel-viel indirekter, geschickter, aber immer noch einseitig. Allerdings kann Avnery das auch viel besser als Brie. Er schreibt:

Derzeit gibt es drei Lager in Israel: Das erste rekrutiert diejenigen, die wirklich mit den Palästinensern verhandeln wollen, um die Zwei-Staaten-Lösung zu ermöglichen. Das zweite umfasst all jene, die einen „einseitigen“ Rückzug wünschen, um Teile der Westbank zu annektieren und deren Rest den Palästinensern zu überlassen, nachdem dort die Siedlungen aufgelöst wurden. Schließlich gibt es die dritte Gruppe, die solch einen „einseitigen“ Rückzug unter dem Vorwand ablehnt, den Palästinensern werde Land gegeben, ohne dass die selbst etwas dafür geben müssten. Tatsächlich wird von dieser Seite jedes Abkommen mit den Palästinensern und jede Rückgabe von Land ausgeschlossen. Amir Peretz gehört zur ersten Fraktion, Olmert zur zweiten, Lieberman samt Yishai zur dritten. Die „Grundlegenden Richtlinien“ sollen sie alle zufrieden stellen!
Wie? – Die Antwort liegt im britischen Witz. Das heißt, Israel wird zunächst die Palästinenser zu einem Frieden aufrufen, der auf einer Zwei-Staaten-Lösung beruht. Wenn dann klar wird, dass es keinen Partner für solch einen Frieden gibt, wird man sein Schicksal in die eigenen Hände nehmen und die Grenzen einseitig festlegen. In seiner Rede am Wahltag wandte sich Olmert bekanntlich mit klingendem Pathos direkt an den palästinensischen Präsidenten Abbas und bot ihm an, mit Friedensverhandlungen zu beginnen.

Diese Offerte ist von einem großen Augenzwinkern gegenüber dem israelischen Publikum begleitet. Jeder versteht, dass dies eine Phase ist, die wir durchlaufen müssen, bevor wir zur eigentlichen Sache kommen. Das Manöver bedient vielfältige Absichten: Es soll Amir Peretz mit einem Feigenblatt versehen, wenn er darum gebeten wird, die einseitigen Schritte zu unterstützen – und es soll die Amerikaner zufrieden stellen, wenn sie darum gebeten werden, der Annexion großer Teile der Westbank zuzustimmen, und Lieberman wie der Shas-Partei Zeit geben, in der sie sich an der Regierung erfreuen, bevor Ehud Olmert den „Plan des Zusammenlegens“ erfüllen wird.

Das ist allen klar. Darum diskutiert keiner – absolut keiner – das Angebot an Mahmoud Abbas, während jeder über die Annexion redet, die danach kommt. Wie jener britische Wachsoldat: Rufe einmal, rufe zweimal, rufe ein drittes Mal – und dann schieße.

Zuerst wird die politische Situation gezeichnet, richtig gezeichnet. Es gibt sie, diese drei Lager, es gibt auch strategische sowie taktische Überlegungen und Schritte, wie gesagt. Am Ende wird aber ganz fein interpretiert – mit Witz wird der israelischen Regierung das „große Augenzwinkern“ unterstellt. Sie reden vom Frieden? Ha-ha, und das soll Avnery dieser Regierung glauben? Auf gar keinen Fall. Das letzte Wort in dem feinen britischen Witz kommt deswegen nicht aus dem zu Beginn des Artikels erzählten Witz selbst – es soll geschossen werden, meint Avnery. Das mit dem Humor ist aber eine heikle Sache.

Uri Avnery nimmt den Witz über einen blöden Wachsoldaten zur Hilfe als eine rhetorische Figur. Der Wachsoldat schießt, ohne nachzudenken. Man lacht darüber, weil es ein Zeichen blinden Gehorsams und mangelnder Urteilsfähigkeit ist. Avnery unterstellt der israelischen Regierung dasselbe: Sie tue aus seiner Sicht genauso. Avnery muß dabei nichts beweisen, weil es das nicht direkt sagt, er deutet das nur an. Er denkt dabei das, was Brie sagt.

Im Grunde geht es um die Propaganda, die neulich an einem treffenden Beispiel gut entlarvt wurde. Ein amerikanischer Professor für Philosophie, Michael Neumann, hat diese Position selbtsagend (die Darstellung des Falls siehe hier und hier) offenbart:

My sole concern is indeed to help the Palestinians, and I try to play for keeps. I am not interested in the truth, or justice, or understanding, or anything else, except so far as it serves that purpose…I would use anything, including lies, injustice and obfuscation, to do so. If an effective strategy means that some truths about the Jews don’t come to light, I don’t care. If an effective strategy means encouraging reasonable anti-Semitism or reasonable hostility to Jews, I don’t care. If it means encouraging vicious racist anti-Semitism, or the destruction of the State of Israel, I still don’t care.

Zu viel hinein interpretiert?

 

Schäuble am Pranger

Filed under: Allgemein — peet @ 11:01 Uhr
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Eigentlich nichts Neues. Wolfgang Schäuble meldet sich zu Wort und sagt:

Es werden auch blonde blauäugige Menschen Opfer von Gewalttaten, zum Teil sogar von Tätern, die möglicherweise nicht die deutsche Staatsangehörigkeit haben. Das ist auch nicht besser.

Er darf das (Tätervolk-Spezialist-Hohmann lässt grüßen). Warum? Weil die kritische Reaktion darauf, einen vollen Tag darauf, sehr bescheiden aussieht – einige Stimmen aus der Opposition (das typische Beispiel kommt aber von den Jusos. Der Text ist gut – besser, als von den Grünen oder derPDS, nur warum wohl kommt er von den Jusos?), kaum von der Presse, erfreulich viele Blogger. Mal abwarten, wie und ob das Ausland kommentiert.

Bis dahin dürfen die Blogger meckern. Von den Texten, die mir persönlich zusagen, verlinke ich hier die folgenden (in chronologischer Reihenfolge):

Man schnappt als aufgeklärter Mensch bei solcher Argumentation doch manchmal hörbar nach Luft. (Link)

Wie absurd, zynisch und offen rassistisch jemand wie Schäuble agiert. (Link)

Mein lieber Herr Schäuble: Ein Mensch ringt auf der Intensivstation mit dem Tod. Ein Mensch, der von den Tätern deutlich vernehmbar „Nigger“ genannt wurde. Und sie, Herr Schäuble, entblöden sich nicht, anzumerken, dass die Hintergründe dieser Tat ja noch gar nicht eindeutig klar seien.

Zudem: Welchen Eindruck haben jetzt die Menschen, die möglicherweise keine deutschen Staatsangehörigen sind und trotz dieses von Ihnen offensichtlich als Makel empfundenen Zustands trotzdem ganz normale, anständige Menschen sind? Ist das Ihr Verständnis von Integration? […] Hat sich damals, als Sie das Opfer eines Attentäters wurden, jemand hingestellt und geblökt: „Es werden auch andere Menschen als Politiker Opfer von Gewalttaten, zum Teil sogar von Tätern, die möglicherweise nicht die deutsche Staatsangehörigkeit haben.“ Wie hätten Sie wohl auf einen solchen Spruch reagiert?

Wie wäre es mit einer sofortigen, bedingungslosen Entschuldigung bei der Familie des Opfers? Und mit einem sofortigen Rücktritt, da Sie offensichtlich nicht mehr in der Lage sind, Ihr Amt angemessen auszuüben?

Jetzt leiste ich mir nämlich mal einen Spruch: Es ist bekannt, dass Opfer von Attentaten möglicherweise lebenslang von Verfolgungsängsten und Paranoia gepeinigt werden. Kann es wohl sein, Herr Schäuble, dass Ihre Urteilsfähigkeit durch diese besonderen Umstände getrübt ist? Ist dies der Fall, wäre Ihre Äußerung natürlich entschuldigt und Ihnen könnte geholfen werden. In verantwortungsvoller Position sind Sie dann aber nicht länger tragbar.
(Link)

was soll denn diese anspielung? es werden auch grünäugige deutsche und ausländer opfer. offenbar soll diese bemerkung relativieren und anspielungen und andeutungen in den raum stellen, warum? deutsche werden opfer von deutschen und nicht-deutschen, banal, allerdings ist der rassismus eine typische inländermotivation (in unserem land eben i.d.r. deutsch).
daß andere gewalttaten besser seien, hat niemand behauptet! das ist mal wieder typisch plumpe rhetorik, etwas in den raum stellen, was niemand behauptet hat, um dann gegen diese nullaussage zu argumentieren. ein selbst inszeniertes und selbstgerechtes schattenboxen. gleichzeitig werden blond-blauäugige sprachbilder verwendet, die eindeutig aufgeladen sind, andeuten aber nicht direkt aussprechen, was sich die hörerInnen selbst daraus zusammenreimen sollen. übrigens herr schäuble, das opfer in potsdam ist ein deutscher!

Niemand dürfe in Deutschland diskriminiert werden, weder Ausländer noch Deutsche. wieder so ein platter allgemeinsatz, der den konkreten, rassistischen überfall relativiert und verwässert. seit der vereinigung deutschlands wurden über 100 menschen wegen ausländerfeindlicher, rassistischer motive ermordet. tausende brutale ausländerfeindliche gewalttaten mit schwersten körperverletzungen wurden begangen. als meister der relativierung möchte ich jetzt mal die statistik von herrn schäuble sehen, in der eine entsprechende anzahl blonder und blauäugiger wegen ihrer deutschen nationalität ermordet, geschändet oder gequält wurden. (Link)

Daß Schäuble sich meiner Ansicht nach mit seinen blonden und blauäugigen Sprüchen in der logischen Struktur des „Bomben-Holocaust“, im Rahmen dieser Nietzeanischen Umkehr- und Verdrehungssprüche bewegt, sollte als Grund für einen Rücktritt wohl reichen … der Mann hat in einer Regierung im Jahre 2006 einfach nichts zu suchen. Zudem ein Schäuble sowas nicht einfach so dahersagt, als einer der wenigen Intellektuellen unter den Politikern Deutschlands (Link)

Schäubles Versuche, die Tat zu relativieren, sie – ebenso wie ausgerechnet Brandenburgs Innenminister Schönbohm – trotz des aufgrund der Aufzeichnung der Handy-Mailbox, auf der das Opfer als „dreckiger Nigger“ [extern] beschimpft wurde, von einem rassistischen Motiven zu lösen und sie auch dann, wenn er sie mit Ausländerfeindlichkeit und Rechtsextremismus zusammenbringt, nur dem Osten Deutschlands zuzuschanzen, sind ebenso erbärmlich wie entlarvend. Schäuble hätte ein Zeichen setzen können, gerade weil die Situation gewissermaßen auch für seine Position günstig war. Schließlich ist das Opfer ein gut integrierter Wissenschaftler, der mit seiner Familie in Potsdam lebt, also ein Wunschzuwanderer, der nicht dem Sozialsystem auf der Tasche liegt. Schäuble forderte aber nicht die Deutschen dazu auf, ihren Teil zur Integration beizutragen, sondern monierte im Kontext der Gewalttat einmal wieder, dass „Versäumnisse über Jahrzehnte“ gemacht worden seien, die größtenteils bei den Zuwanderern liegen. Überdies hatte Schäuble erst noch vor kurzem [extern] gemeint, dass die „Friedfertigkeit und Freiheitlichkeit unserer Gesellschaft“ durch Zuwanderung nicht verloren gehen dürfe. Andersherum scheint dies nicht zu gelten. Vielleicht müssten auch deutsche Politiker erst einmal einem Test unterworfen werden, durch den sie beweisen können, dass sie integrationsfähig sind.
(Link)

Das ist schon mal was – ja, nicht sehr viel, aber mehr als Nichts in den übrigen Medien.

 

Die Hamas spricht Mittwoch, 19. April 2006

Die „Frankfurter Rundschau“ hat einen merkwürdigen Text publiziert. Der Text stammt von Andrea Nüsse und ist nicht besonders lang – nehmen wir ihn hier doch auseinander. Vielleicht fühlt man sich nachher besser.

Es geht mit dem Untertitel los.

KOMMENTAR: ISRAEL/HAMAS

Aus dieser Benennung geht hervor, Israel und Hamas seien zwei Konfliktparteien. Nicht die Palästinensischen Autonomiegebiete: mit der Hamas an der Regierung heißt das künftige Land für die Zeitung ab nun Hamastan, so? Gibt es eine andere mögliche Deutung?

Der Titel ist noch besser:

Im Würgegriff

Gemeint ist ein Satz aus dem weiteren Text, den ich hier gleich vorwegnehme, weil es sonst nicht klar ist:

Die vom [israelischen] Kabinett beschlossenen Maßnahmen töten nicht. Aber sie stärken den Würgegriff um die Gurgel der Palästinenser.

Die Zeitung kommentiert den palästinensischen Terrorakt in Tel-Aviv am 17.04.2006 und die Reaktion der israelischen Regierung darauf. Opfer und Verwundete werden nicht erwähnt, die Reaktion der Weltöffentlichkeit auch nicht. Nicht Israelis wurden getötet, Palästinenser seien „im Würgegriff“. Sie würden langsam gewürgt. Das solle die Deutung des Anschlags sein. So meint die Hamas, so schreibt die Arabistin aus Kairo.

Die Tragödie nimmt ihren Lauf. Die von der Hamas geführte palästinensische Regierung hat sich nicht von dem Terroranschlag in Tel Aviv distanziert. Im Gegenteil.

Wir hätten es so gerne, dass die Hamas sich davon distanzieren würde. So wie Arafat und Abbas es immer getan haben. Im Gegenteil, die Hamas begrüßt die Anschläge. Das soll doch gewürdigt werden, ehrlich sind sie, stehen dazu, was sie meinen und tun.

Und die Reaktion der israelischen Regierung wirkt nur auf den ersten Blick zurückhaltend. Premier Olmert und sein Kabinett verzichten zwar zunächst auf eine militärische Offensive als Antwort auf den Selbstmordanschlag des Islamischen Dschihad.

Die Reaktion der Hamas ist somit nicht so schlimm. Sie halten sich nicht zurück und das ist auch gut so. Die israelische Reaktion dagegen ist verdächtig zurückhaltend. Sie verzichten auf eine militärische Offensive. Ein leichtsinniger Leser würde das vielleicht gutheißen. Die Fachfrau für die Hamas-Ideologie deutet an: Dem ist nicht zu glauben. Nebenbei erfahren wir, dass die Hamas mit dem Anschlag eigentlich nichts zu tun hat, das waren die anderen. Was kann die Hamas-Regierung da tun? Klar, nichts. Die Leute wollen das doch so.

Doch die bereits stark eingeschränkte Bewegungsfreiheit innerhalb der Palästinensergebiete soll weiter beschränkt werden. Auch Mitglieder der Regierung können ermordet werden, falls Israel das für nötig hält. Und drei Ministern und Abgeordneten der Hamas, die aus Ost-Jerusalem stammen, soll die Aufenthaltsgenehmigung in ihrer Heimatstadt entzogen werden. Dies ist eine der schärfsten und symbolträchtigsten Waffen, über die Israel verfügt. Denn systematisch versucht Israel die Zahl der Palästinenser im besetzten Ost-Jerusalem gering zu halten oder zu reduzieren, um den Streit um die Stadt durch demografische Fakten zu lösen.

Das ist der Kern der Aussage. Das ist die Tücke der israelischen Antwort auf das Morden: Sie wollen die Bewegungsfreiheit der künftigen Attentäter beschränken. Die vollkommen unschuldigen Mitglieder der Hamas-Regierung, die wie wir hoffentlich schon erfassten, mit dem Anschlag nichts gemeinsam haben, können ermordet werden. Drei Hamas-Politiker dürfen nicht mehr in Israel wohnen, wo sie doch nur das Beste dem Staat Israel wünschen. Auf diese Weise wolle Israel sein Hauptziel erreichen, die Zahl der Palästinenser in Israel gering zu halten. Mit anderen Worten, drei Hamas-Politiker in Israel weniger ist drei Palästinenser weniger. Wer kann jetzt noch etwas über die Opfer des Anschlags reden? Wer wagt das, angesichts dieses „schärfsten und symboltrachtigsten“ Waffeneinsatzes?

Die vom Kabinett beschlossenen Maßnahmen töten nicht. Aber sie stärken den Würgegriff um die Gurgel der Palästinenser.

Ja, das habe ich schon vorweg zitiert. Jetzt klingt es aber noch klarer. Die Hamas sei die Gurgel der Palästinsenser, und israelische Maßnahmen wollen an das Heilige, an die Hamas versuchen.

Gaza ist laut UN-Angaben bereits von einer Hungersnot bedroht, weil Israel seit Januar kaum Waren in das abgeriegelte Gebiet hineinlässt. 150 000 staatliche Angestellte werden kein Gehalt bekommen, weil Israel palästinensische Steuergelder zurückhält und der Westen seine Zahlungen einstellt. Eine Politik der Nadelstiche, die in der Vergangenheit jeweils zu neuer Gewalt führte.

Israel und der Westen sind an allem schuld, wie immer bei der Hamas. Der Westen soll gefälligst zahlen, sonst knallt es. Sofort zahlen, hört ihr? Die Hamas spricht.

Als ich den Kommentar von Andrea Nüsse gelesen habe, musste ich mich räuspern. Dann habe ich recherchiert. Die Jornalistin ist eine anerkannte Arabistin, hat über die Hamas geschrieben. Im Jahre 2000 soll sie bei einer Tagung („Arabisch-islamische Judenfeindschaft. Die Entstehung von Feindbildern im Konflikt um Palästina“) über „Die Haltung der Hamas-Bewegung zu Israel und den Juden“ referiert haben (weiß jemand davon mehr? Das wäre interessant…) Jetzt und auch im März 2006 in der Zeitung „Tagesspiegel“ hat sie die bewundernswerte Ideologie der Hamas dargestellt. Mit einem Unterschied – im März-Artikel ist die Darstellung der fremden Ideologie noch spürbar. In dem FR-Kommentar fehlt jegliche Distanz.

Warum? Eine mögliche Antwort gibt Andrea Nüsse in ihrem Weblog selbst:

Ich fühle mich manchmal schon wie ein Vorzeigebürger der neuen, globalisierten Gesellschaft […] Irgendwann setzt die totale Verwirrung ein, wenn man so tut, als sei man in allen Kulturen gleichzeitig zu Hause.

In der Tat!