Sendungsbewusstsein

Kritische Auseinandersetzung mit den Medien

Schirrmacher verteidigt sich Donnerstag, 1. November 2007

Filed under: Frank Schirrmacher,Medien — peet @ 23:20 Uhr
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 Im Spiegel online kann man die Antwort Schirrmachers bestaunen: Er wundert sich, dass er von vielen Lesern im Internet missverstanden wurde. Er sei nicht gegen das Internet (Link):

Die Bedrohung unseres Journalismus – und dazu zählen auch jene Qualitätsseiten im Internet, die sich nicht massiv boulevardisieren müssen – liegt bekanntlich nicht im Journalismus selbst, sondern in den Veränderungen von Anzeigenmärkten. Sehr präzise nenne ich deshalb als Bedrohung ausschließlich den öffentlichen rechtlichen Rundfunk, der, da gebührenfinanziert, die Marktverhältnisse verschiebt […]

Was also wurde in der Rede kritisiert? Die pornografischen und kriminellen Bild- und Filminhalte, die Nachrichtenenten, die Boulevardisierung der „News“ und deren prägende Wirkung auf Kinder und Jugendliche. Außerdem: der Aufkauf von Zeitungen nach den Maßgaben der Rendite. Starke Qualitätszeitungen sind ein Gegenmittel gegen die absolute Welt des Internet. […]

Interessant ist aber, dass dieser Internetjournalismus, der seine Angebote kostenlos liefert, offenbar nicht einmal mehr fähig ist, die Koexistenz mit den kostenpflichtigen Printmedien auch nur zu denken. Er hat sein eigenes Plebiszit der Verbraucher. Er ist jedenfalls nicht bereit, die Koexistenz zu akzeptieren. Das autoritäre Potential, mit dem er den Gedanken daran abfertigt, ist beträchtlich. Es herrscht nicht Reflexion, es herrscht der Reflex. Wer so denkt, liest Zeitungen als Sondersphären des Geistes, die sich in der Vorzeit abkapseln.

Nachdenklichkeit, wie sich auch an diesem Fall zeigt, braucht Zeit. Es gibt großartige Beispiele für die Wirkung von Blogs, Nachrichtenseiten, Internet-Erzählungen und Filmen, von großem revolutionären Elan in einer geistig fruchtbaren Welt. Die heiseren Stimmen aber, die sich hier melden, klingen eher nach journalistischer Sahelzone.

Das passiert, wenn ein Qualitätsjournalist einen Text selbständig schreibt und viel zu schnell für seine üblichen Verhältnisse in die Welt schickt, ohne dass der Text durch eine Armee von Mitarbeitern und Chefs durchredigiert wurde. Diese Pauschalisierung, dieses Beharren auf der eigenen Unfehlbarkeit und der sicheren Qualität sind erstaunlich. Kein Wort von den Zuständen in den Zeitungen, Redaktionen, von gekauften Inhalten, parteiischen Kampagnen – der Qualitätsjournalismus kennt sowas nicht, klar.

Dazu kommt wie immer der eine oder andere Popanz – in dem Fall die Erfindung, das Internet sei gegen die Printmedien. Insofern hat ein Kommentator in diesem Blog Recht, wenn er (Stefan Strauß) schreibt, diese epochale Rede sei eine unverdaute Folge der zu schnell gelesenen Gedanken von Habermas über die Lage der Zeitungen (Link). Können wir bitte etwas mehr „Habermas“ und etwas weniger „Schirrmacher“ bekommen? Nur proportional, versteht sich. Dann wäre es etwas näher zum Qualitätsjournalismus.

 

Frank Schirrmacher betätigt sich kulturell Dienstag, 30. Oktober 2007

Es ist schon merkwürdig, aber keine Quelle gibt seine Dankrede komplett wieder. Aus drei zur Verfügung stehenden Links können wir etwas zusammenbasteln, ohne auf die bald bevorstehende Gesamtausgabe zu warten, wie es die Netzeitung empfiehlt (Link). Einige wenige Beispiele reichen aus, um die epochale, weltbewegende Bedeutung der Rede zu erkennen (Die „Fokus-Fassung – Link; die FAZ-Fassung – Link):

Die modernen Techniken und Technologien haben Städte, Länder und Kontinente verändert, Entfernungen minimiert, jahrtausendealte Berufe eliminiert, vom kompletten Umbau der Anschauungen und Lebenswahrheiten ganzer Generationen zu schweigen – und nun wendet sich diese Energie wie der Blick Saurons aus dem „Herrn der Ringe“ auf Schreibende, Lesende, auf jenen blinkenden Cursor, den Pulsschlag des Textes.

Diese wundervolle, unvergleichliche, einmalige, an Stefan George und Thomas Mann erinnernde Poesie eines Sprachkünstlers wird leider auch nur vom „Fokus“ zitiert.

Mag sein, dass die Warnung vor jugendgefährdenden Schriften und Filmen in der Vergangenheit oft prüde und unrealistisch war. Doch was Kinder und Jugendliche heute unkontrolliert sehen können, ist pornografischer und gewalttätiger Extremismus, wie ihm niemals zuvor eine Generation ausgesetzt war und gegen den man sich, zumindest als Jugendlicher, nicht immunisieren kann.

Adorno würde weinen – ich meine, vor Neid. Schirrmacher bezieht sich anscheinend auf das Internet, und vergisst leider viel zu leicht, dass der andere sein Feind, das Fernsehen, das längst vorgemacht hat. Es gibt, schrecklich zu sagen, sogar Printmedien, die diese Sünde begangen haben oder täglich begehen. Schirrmacher besinnt sich erst später:

Wir riskieren die wenigen Kinder, die unsere Gesellschaft in Zeiten des demografischen Wandels hat, auf Dauer mit seelischem Extremismus zu programmieren, wenn wir nicht bald eine Debatte über pornografische und kriminelle Inhalte im Internet beginnen. Und wenn Sie die Infektionsausbreitung verfolgen wollen, zählen Sie, wie viele Tote neuerdings auch in Nachrichtensendungen oder Illustrierten gezeigt werden.

Diese zwei Sätze muss man etwas aufmerksamer lesen. Unsere Gesellschaft erlebt also die Zeiten des demographischen Wandels. Ich glaube, fast dasselbe neulich von einem anderen großen Geist unserer Tage, Eva Herman, vernommen zu haben: „Wir sterben aus“ (Link). Meint denn Schirrmacher etwas anderes? Nicht weniger interessant ist es, dass Nachrichtensendungen und Illustrierte dazu gezählt werden, nur die FAZ nicht. Die FAZ lebt in einer anderen Welt und programmiert ihre Leser mit seelischem Qualitätsjournalismus. Trotz der Bedrohung seitens der Realität schafft sie „die Bindungskräfte einer medial disparaten Gesellschaft“.

Nebenbei würde ich gerne mal erfahren, warum der grimmige Preisträger den „gewalttätigen“ mit dem „kriminellen“ Extremismus gleichsetzt. Sprachkünstler sind hier besonders gefordert. Unter dem Niveau eines Arno Schmidt bitte nicht melden.

Im nächsten Abschnitt nutzt der große Ethiker die Gelegenheit, um gegen einen unliebsamen Gegner, den perlentaucher.de zu stechen. Das beweist seine Milde und verleiht ihm eine moralische Überlegenheit:

Eine Option ist die Tageszeitung selbst, die von manchen allzu voreilig totgesagt wird – und zwar gerade von jenen mit Vorliebe, die von der Ausbeutung fremder redaktioneller Inhalte leben. Die Umlaufgeschwindigkeit von echten und halbseidenen Nachrichten im Internet ist enorm, und auf den ersten Blick kann man sie nicht voneinander unterscheiden. Sie tauchen ebenso schnell auf, wie sie verschwinden.

Dieser unwürdige Kampf geht schon länger und wird vom Perlentaucher beschrieben (zuletzt Link). Unfassbar!

Der folgende Gedanke wird das Ewige segnen, oder umgekehrt:

Die Zeitung liefert eine Haltbarkeit von mindestens 24 Stunden, und in ihren Kommentaren, Rezensionen und Kritiken will sie sogar vor der Nachwelt bestehen. Im Vergleich zum Internet ist sie ein retardierendes, also verzögerndes Moment in der gesellschaftlichen Kommunikation, und gerade deshalb wird sie immer unverzichtbar sein.

Falk Lüke schreibt absolut korrekt dazu: „dass dies leider stets die vergangenen 24 Stunden vor Drucklegung waren, das sagt Schirrmacher nicht.“ (Link) Ich würde noch einmal den Ausdruck „Retardtablette“ aus dem Gedächtnis abrufen, um die Sprachkunst des Redners zu bewundern. Dazu kommt noch die messerscharfe Logik: Was die Kommunikation verzögert, ist immer unverzichtbar. Die Lehre Schirrmachers ist allmächtig, weil sie wahr ist, wenn ihr meint, was ich verstehe.

Moment, wir sind noch nicht fertig:

Es gibt nur eine logische Konsequenz: Zeitung und Internet sind konstitutiv für den, der ein aufgeklärtes Leben führen will.

Auch dies können nur die Leser des „Fokus“ geniessen. Ich nehme alles zurück und behaupte das Gegenteil: All die oben produzierten Extreme sind konstitutiv und eine Aufklärung an und für sich. Adorno weint an dieser Stelle wie ein Kind ohne Internet.

Im weiteren solidarisiert sich Schirrmacher mit dem anderen großen Qualitätsjournalisten der Merkel-Ära (vgl. Link):

In Deutschland nennen wir das, was wir tun, „Qualitätsjournalismus“, und gemeint ist ein Journalismus der großen Zeitungen, der nicht nur auf Verlässlichkeit setzt, sondern auch einer redaktionellen Ausstattung bedarf, die diese Verlässlichkeit sichert.

Wann sind Journalisten verschwunden, die selbst, ohne die Einmischung des Chefs, schrieben und dafür gerade standen? Ich meine, nicht vor dem Chef, sondern vor dem Leser. Schirrmacher ist anderer Meinung, klar:

Eine Zeitung, die einmal aus dem Taktschlag gerät, deren Temperament gebremst und deren geistige Risikobereitschaft entmutigt wird, eine Qualitätszeitung, deren Besitzer einmal die Drehschrauben ansetzen, um zu sehen, wie weit man drehen kann – diese Zeitung verliert auf Dauer ihre Seele. Und es ist, wie man in England, Schweden, Finnland, Amerika, leider auch in Frankreich beobachten kann, praktisch unmöglich, ihr diese Seele jemals wiederzugeben.

Nur in der FAZ kann die Seele blühen. Der Rest der Welt wird untergehen oder ist schon begraben. Wie schade, dass dies die Leser der FAZ selbst nicht lesen dürfen, offensichtlich aus einer Bescheidenheit.

Bei der nächsten Prophezeiung würde ich gerne wetten, dass dem nicht so sein wird:

Jeder, der Augen hat zu sehen, wird erkennen, dass das nächste Jahrzehnt das Jahrzehnt des Qualitätsjournalismus sein wird […]

Ich stimme dem nicht zu, leider. Diese Rede beweist eben das Gegenteil. Aber auch hier weiß Schirrmacher seine Zauberlogik anzuwenden:

Je stärker der öffentlich-rechtliche Rundfunk ins Internet ausgreift, desto bedrohter werden die Zeitungen.

Die öffentlich-rechtlichen Systeme haben begonnen, im Internet zu veröffentlichen; und das mit einem Etat im Rücken, der dem Staatshaushalt eines baltischen Landes entspricht. Sie verfassen Rezensionen im Internet, Kommentare und Tagebücher. Noch ist es nicht soweit. Doch wenn diese gebührenfinanzierten Angebote weiter ausgebaut werden, sind die Zeitungen, die sich durch den Markt finanzieren, wirklich bedroht.

Kassandra sagt hier endlich, was sie denkt. Der Feind wird beim Namen genannt, allerdings nur bei der Süddeutschen, die anderen Quellen sind hier geradezu plötzlich schweigsam:

Je stärker der öffentlich-rechtliche Rundfunk, also ARD und ZDF, ins Internet ausgreift, desto bedrohter werden die Zeitungen.

Die öffentlich-rechtlichen Systeme haben begonnen, im Internet zu veröffentlichen; und das mit einem Etat im Rücken, der dem Staatshaushalt eines baltischen Landes entspricht. Sie verfassen neuerdings Rezensionen im Internet, Kommentare und Tagebücher.

Noch ist es nicht soweit. Doch wenn diese gebührenfinanzierten Angebote weiter ausgebaut werden, sind die Zeitungen wirklich bedroht. Wir sind Freunde eines Qualitätsjournalismus im Fernsehen, aber Gegner quasi staatlich finanzierter Aufschreibesysteme. Gegen deren „Texte“ hätten die unabhängigen Zeitungen auf Dauer keine Chance. [Link]

Ich betone noch einmal: ARD und ZDF sind böser als das Internet und sind zu alldem noch fähig, „Texte“ zu produzieren, gegen die Schirrmacher auf Dauer keine Chance hat. Hört auf, Schirrmacher als einen großen Internetgegner zu titulieren. Da gibt es mehr zu holen. :-) Wie kann es überhaupt gehen, dass alle Qualitätsjournalisten ihre eigene Sendungen im Fernsehen haben, nur Frank Schirrmacher nicht?

Nebenbei gemerkt, diese Praxis, nach Belieben zu zitieren, ohne Auslassungen zu kennzeichnen, war seit je ein Bestandteil des Qualitätsjournalismus. Das versteht sich von selbst, nicht wahr? Bin ich etwa neidisch? *g*